Yoga ist viel mehr als Körperübung – Der achtgliedrige Pfad von Patanjali
Yoga ist in aller Munde und ganz im Mainstream angekommen. Doch was ist dieses Yoga überhaupt? Auf Instagram sehen wir muskulöse Männer und schlanke Blondinen in bunten Leggins im Handstand und bei diversen Verrenkungen an wunderschönen Orten. Gleichzeitig liest man immer wieder, dass Yoga mehr als nur das Körperliche sei. Aber was? Irgendwie scheint es noch mit Atmen und Meditieren zu tun zu haben. Oder bezieht es sich sogar auf das ganze Leben?
In meinem Podcast (Folge 34) lernst du verschiedene Definitionen von Yoga und den achtgliedrigen Pfad nach Patanjali kennen. Da es mir sehr am Herzen liegt zu verdeutlichen, dass Yoga ein Lebensweg ist, findest du hier den achtlgliedrigen Pfad von Patanjali nochmal zum Nachlesen im Überblick.
1. Yamas
Die Yamas beziehen sich auf unser Verhalten gegenüber den Menschen um uns herum. Mit ihnen beginnt alles. Denn wenn wir diese integrieren, finden wir in ein konfliktfreies Leben, in dem wir nicht von emotionalen Blockaden, Problemen oder Schuldgefühlen belastet werden. Sie sind also die absolute Grundlage auf deinem Yogaweg.
1.1. Ahimsa
Ahimsa heißt übersetzt „nicht verletzen“ und wird häufig mit „Gewaltfreiheit“ beschrieben. Wir wollen Verletzungen in Gedanken, Taten und Worten vermeiden. Dies klingt einfach, doch bei genauerem Hinsehen ist es gar nicht so leicht.
In unserer heutigen komplizierten Welt ist es oft schwer nachzuvollziehen, wie sich zum Beispiel unser Kauf-, Ess- oder Reiseverhalten auf andere auswirkt und es ist schwierig geworden alles richtig zu machen. Doch wir sollten uns unseres eigenen Verhaltens und der Auswirkungen auf andere bewusst sein.
In Indien soll es eine Glaubensgemeinschaft geben, die beim Gehen immer mit einem Besen den Weg vor sich frei fegt, um nicht versehentlich Insekten zu zertreten. Und ja – vermutlich zertritt jeder von uns (hoffentlich nur versehentlich) das ein oder andere kleine Tier.
Wo fängt „nicht verletzen“ für dich an? Wie sprichst du mit deinen Mitmenschen?
1.2. Satya
Mit Satya ist Aufrichtigkeit oder auch Wahrhaftigkeit gemeint. Wenn wir unaufrichtig sind, erzeugt das innere Konflikte und einen unruhigen Geist – wodurch das Ziel von Yoga nicht erreicht werden kann. Satya beginnt bereits bei der Aufrichtigkeit uns selbst gegenüber. Es kann auch mit Authentizität beschrieben werden. Was wir fühlen, denken, sagen und tun ist im Einklang.
Wie ist das bei dir: Sind deine Taten in Einklang mit deinen Gefühlen?
1.3. Asteya
Asteya wird kurz mit „nicht stehlen“ beschrieben. Damit ist nicht nur das Stehlen von Dingen, sondern auch von Gedanken, und Ideen gemeint. Es geht aber noch darüber hinaus und meint, dass wir nicht missgünstig anderen Menschen gegenüber sein sollten und nicht das begehren sollten, was andere haben. Hier soll das Bewusstsein entwickelt werden, dass schlussendlich nichts uns gehört. Wir kommen und gehen nackt von dieser Welt.
Bist du oft neidisch auf Erfolge oder Besitz von anderen?
1.4. Brahmacharya
Brahmacharya heißt übersetzt „der Weg zu Brahma“ und Brahma kann als „das Göttliche“ beschrieben werden. Hier ist also ein Leben mit einem höheren Ziel gemeint. Damit einher geht, dass wir Maß halten in allen Bereichen. Weder zu viel wollen und nehmen – noch zu wenig, denn beides würde Schmerz verursachen. Oft wird Brahmacharya mit sexueller Enthaltsamkeit übersetzt, es geht jedoch viel weiter. Es geht um das individuell richtige Maß an Sexualität, Nahrung, Schlaf, Arbeit, Freizeit, Aktivität etc. Yogis brauchen also nicht im Zölibat zu leben, sollten jedoch auch nicht im Übermaß essen usw.
Wie gut kannst du Maß halten?
1.5. Aparigraha
Aparigraha geht mit Asteya einher und wird als „nicht horten“ beschrieben. Hier geht es ums Loslassen können und um Unbestechlichkeit. Wir sollten keinen übermäßigen Besitz anhäufen, aber auch nicht nach immer mehr Aufmerksamkeit, Titeln, Positionen oder Beziehungen streben. Es geht darum, mit dem zufrieden zu sein, was man hat und Bescheidenheit zu üben.
Von was hast du das Gefühl, nicht genug zu haben?
2. Niyamas
Während es bei den Yamas, um unser Verhalten gegenüber unseren Mitmenschen geht, geht es bei den Niyamas um unser Verhalten uns selbst gegenüber. Yamas und Niyamas sind gleich wichtig. Dem Verhalten dir selbst gegenüber solltest du also die gleiche Aufmerksamkeit zukommen lassen, wie deinem Verhalten gegenüber anderen.
2.1. Saucha
Mit Saucha ist die Sauberkeit von Körper und Geist gemeint. Der Körper soll innerlich und äußerlich rein gehalten werden. Dies umfasst regelmäßige Körperhygiene und yogische Reinigungstechiken für das Innere des Körpers. Hierunter fällt auch die sattvische Ernährung. Wir sind, was wir essen, daher sollte unsere Nahrung rein sein. Da auch unsere Umgebung Einfluss auf uns nimmt, sollten wir auch unser Zuhause sauber halten. Darüber hinaus wird Saucha oft auch auf die Reinheit unseres Geistes bezogen.
2.2. Santosha
Mit Santosha ist gemeint, dass wir eine innere Haltung der Zufriedenheit kultivieren sollten. Dies geht mit dem Yama Aparigraha (nicht-horten) einher, wir sind mit dem zufrieden, was wir haben. Unzufriedenheit besteht, wenn wir Wünsche haben. Solange der Wunsch nicht erfüllt ist, sind wir unzufrieden, nach der Erfüllung des Wunsches sind wir zufrieden, bis ein neuer Wunsch entsteht. Zufriedenheit ist also der Zustand zwischen zwei Wünschen. Santosha wird als ausgeglichener Normalzustand beschrieben, der da war, bevor ein Wunsch entstand. Diesen wollen wir üben zu bewahren.
2.3. Tapas
Tapas wird oft als Disziplin interpretiert, meint aber gleichzeitig ganz konkret, die Yoga-Praktiken. Es geht also um das strebsame Praktizieren der Körper- und Atemübungen und der Reinigungstechniken. Darüber hinaus geht es auch um unseren Umgang mit schwierigen Lebenssituationen. Wir üben, das anzunehmen was ist und einen gesunden Abstand zu unseren Emotionen zu erlangen. Das Leben wird als Spielfeld betrachtet, auf dem wir Erfahrungen sammeln und lernen. Dies bringt uns raus aus dem Drama, wodurch Ruhe im Geist gefördert wird.
2.4. Swadhyaya
Swadhyaha meint Studium und Selbsterforschung. Im engeren Sinn geht es um das Studieren von Schriften. So gehört das Lesen von spiritueller Literatur ebenfalls zur yogischen Praxis als Nahrung für unseren Geist. Darüber hinaus geht es jedoch auch darum, uns selbst zu erforschen und Antworten auf die großen Fragen des Lebens zu finden. Dies wird durch das Lesen spiritueller Texte gefördert, so dass sich beides bedingt.
2.5. Iswarapranidana
Bei Ishwarapranidana geht es um Hingabe – gemeint ist die vollständige Hingabe an Gott oder anders formuliert, an die Quelle aus der wir alle kommen oder einfach an etwas Größeres. Wir erkennen, dass wir nicht alles kontrollieren können und üben uns in Vertrauen. Es geht darum, bedingungslose Liebe zu kultivieren und das Ego in Schach zu halten. Diese innere Haltung kann im Alltag geübt, aber auch mit gezielten Übungen kultiviert werden. Empfohlen wird zum Beispiel das Sprechen von Gebeten, Rezitieren von Mantren oder das Ausüben von Karma Yoga (Dienst für andere, ohne etwas zurückzuerwarten).
3. Asana
Mit Asanas sind die Körperhaltungen gemeint, die im Yoga eingenommen werden. Dies ist wohl der hier im Westen bekannteste Teil von Yoga.
In den Yoga Sutren von Patanjali ist mit diesem Begriff die Meditationshaltung gemeint (Padmasana/Lotussitz). Dieser Sitz sollte fest und angenehm/leicht sein (Sthira Sukham Asanam). Inzwischen wird der Begriff Asanas für alle Körperhaltungen verwendet, die wir im Yoga einnehmen. Ursprünglich dienen jedoch alle Haltungen dem Ziel, den Meditationssitz fest und angenehm halten, um lange in Meditation verweilen zu können.
4. Pranayama
Das Wort Pranayama setzt sich aus den Begriffen Prana (Lebensenergie) und Ayama (Kontrolle) zusammen. Der Begriff wird für yogische Atemtechniken verwendet, mit denen wir Kontrolle über unsere Lebensenergie gewinnen. Vereinfacht kann gesagt werden, dass die Körperübungen unseren Körper und Pranayama unseren Geist auf Mediation vorbereiten. Meiner eigenen Erfahrung nach sind die yogischen Atemtechniken höchst effektiv und ein sehr wichtiger Baustein auf diesem Weg.
5. Prathyahara
Mit Prathyahara ist das Zurückziehen der Sinne gemeint. Vielleicht kennst du es, dass du versuchst zu meditieren, aber z.B. von Geräuschen immer wieder abgelenkt wirst? Mit stetiger Übung gelingt es jedoch immer besser, nicht auf Geräusche zu reagieren. Der Geist wird von den Sinnen getrennt und lässt sich nicht stören.
6. Dharana
Dharana bedeutet Konzentration. Zur Vorbereitung auf die Meditation, konzentrieren wir uns auf ein Objekt. Das kann zum Beispiel der Atem sein oder auch ein Mantra. Dies hilft den Geist zu fokussieren und zur Ruhe zu bringen.
7. Dhyana
Dhyana heißt übersetzt Andacht, Innenschau oder Nachdenken. Auf diesem achtgliedrigen Pfad steht der Begriff für den Zustand der Meditation. Während die ersten 6 Pfade bewusst praktiziert werden können, geschieht dieser von selbst als Folge davon, dass wir die anderen Glieder geübt und verinnerlicht haben.
8. Samadhi
Auch Samadhi kann nicht bewusst geübt werden, sondern entsteht als Resultat des Praktizierens der anderen Glieder dieses Pfades. Samadhi steht für das Ziel des Yoga – das Erreichen der Verschmelzung des individuellen und des universellen Bewusstseins. Es steht für die absolute Erkenntnis und Erleuchtung.
Das waren sie: die acht Glieder des Yogapfades. Wie du siehst, ist Yoga also sehr viel mehr als das, was man auf den ersten Blick sieht. Es bezieht sich auf das ganze Leben. Lasst uns dafür sorgen, dass diese weise Lehre nicht verloren geht und wir Yoga ganzheitlich leben, statt es als Sport zur Selbstoptimierung zu verfälschen. Wenn wir alle die Yamas und Niyamas verinnerlichen, wäre das ein sehr schönes Miteinander auf diesem Planeten.
Dies war nur ein kurzer Überblick und es gibt noch sehr viel mehr darüber zu erfahren. Weiterlesen kannst du hier:
Patanjalis Yogasutra, Der Königsweg zu einem weisen Leben – Ralph Skuban
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